- Avignonesisches Exil \(1309 bis 1376\): Die Päpste in Avignon
- Avignonesisches Exil (1309 bis 1376): Die Päpste in AvignonNach dem Tod Kaiser Friedrichs II. 1250 schien das Papsttum die einzige übergeordnete Macht des Abendlandes zu sein. Die übersteigerten Ansprüche auf Suprematie gegenüber jeder weltlichen Gewalt, schon von Gregor VII. erhoben, wirkten nicht mehr so utopisch. Aber mit dem zunächst bedingungslos unterstützten französischen Königtum der Anjou erwuchs rasch ein neuer Konkurrent. Der unvermeidbare Konflikt, vordergründig ausgelöst durch die Steuererhebung König Philipps IV., die auch den Klerus einbezog, gipfelte päpstlicherseits in der Bulle Unam sanctam (1302) und der geplanten Absetzung des Herrschers. Dieser antwortete mit dem »Attentat von Anagni« (1303), der Gefangennahme Papst Bonifatius' VIII. Letztlich ging es bei dieser Auseinandersetzung um die seit dem 11. Jahrhundert immer deutlicher hervortretende Unterscheidung von »Staat« und Kirche. Sie führte zur weiteren Entsakralisierung der Herrscher und zu deren Widerstand gegen kirchlich-kuriale Eingriffe in ihren Machtbereich.Nach dem Tod Bonifatius' VIII. (1303) und nach dem kurzen Pontifikat Benedikts XI. wurde 1305 schließlich als Kompromisskandidat Bertrand de Got, der Erzbischof des unter englischer Herrschaft stehenden Bordeaux, zum Papst gewählt (Klemens V., 1305—14) und in Lyon gekrönt. Klemens V. beabsichtigte, nach Rom zu ziehen, blieb aber in Südfrankreich und traf 1309 in Avignon ein, ohne dort dauerhaft zu residieren. Dem englischen König Eduard I. kam er bei dessen Auseinandersetzung mit Kirche und Adel entgegen, indem er den oppositionellen Erzbischof von Canterbury suspendierte und Eduards Zugeständnisse an den Adel für nichtig erklären ließ. Das bisher von Italienern dominierte Kardinalskollegium wurde nun mehrheitlich französisch. 90 von insgesamt 110 bis 1375 eingesetzten Kardinälen waren Franzosen — Zeichen regionaler Verbundenheit, aber auch des Einflusses der französischen Könige. Klemens V. erkannte das Vorgehen Philipps IV. gegen Papst Bonifatius VIII. als weitgehend rechtmäßig an und ließ die gegen Frankreich gerichteten Bullen in den Registern tilgen.Überschattet wurde das Pontifikat Klemens' V. durch sein Verhalten bei der Vernichtung des Templerordens, der durch Reichtum und Macht Begehrlichkeiten geweckt hatte und in den Augen Philipps IV. durch seine exemte Stellung, d. h. die direkte Unterstellung unter den Papst, in Konkurrenz zum Aufbau der Nationalstaaten geriet. Philipp IV. ließ 1307 alle französischen Templer verhaften, die unter der Folter die ihnen vorgeworfenen moralischen Vergehen zunächst gestanden, später jedoch größtenteils widerrufen hatten. Klemens schloss sich dem Vorgehen Philipps an, konnte aber die angestrebte alleinige päpstliche Zuständigkeit für den Templerprozess nicht durchsetzen. Besonders schreckte Klemens die Drohung des französischen Königs, gegen Bonifatius VIII. einen Ketzerprozess eröffnen zu lassen. Noch vor dem Beginn des Konzils von Vienne (1311) — die Templer, nicht die innerkirchlichen Reformfragen waren das zentrale Thema —, begannen Hinrichtungen auf französischem Boden. Schließlich hob Klemens V. im April 1312 den Orden auf, da das Konzil den Tempelrittern eine nicht chancenlose Verteidigung gestatten wollte; der Templerbesitz wurde größtenteils den sich der Krankenpflege widmenden Hospitalitern zugesprochen. Vor allem in Frankreich verlief die Übergabe an die Johanniter gegen Entschädigungsleistungen für die Krone schleppend, soweit die Güter nicht ohnehin beim Krongut verblieben.Die Kaiserkrönung des deutschen Königs Heinrich VII. 1312 in Sankt Johann im Lateran durch päpstliche Legaten war auch Ausdruck des Bestrebens Klemens', ein Gegengewicht zum französischen König zu schaffen. Mit der Ernennung Roberts I. von Neapel zum Reichsvikar für Italien 1314 machte Klemens die päpstlichen Ansprüche auf Suprematie erneut deutlich. Zur Steigerung der Einnahmen forderte der Papst 1306 von allen in England, Schottland und Irland vakanten (unbesetzten) oder vakant werdenden Benefizien, d. h. Kirchenämtern, die für den Amtsinhaber mit Einkünften verbunden waren, die Einnahmen des ersten Jahres, die Annaten. 1326 dehnte Johannes XXII. diese Bestimmung als willkommene Einnahmequelle auf alle an der Kurie vakanten Pfründen aus.Die Etablierung in AvignonNach dem Tod Klemens' V. gelang erst nach zwei Jahren, in denen das Amt des Papstes unbesetzt blieb (Sedisvakanz), die Nachfolgeregelung: Im August 1316 wurde Jacques Duèse (Johannes XXII.) gewählt. Der bereits zweiundsiebzigjährige vermeintliche Übergangskandidat sollte den Stuhl Petri 18 Jahre besetzen. Unter seinem Regiment wurden die Finanzverwaltung und andere Teile der päpstlichen Regierung zentralisiert, die häufig kritisierte kirchliche Bürokratie ausgebaut. Zur Reizfigur wurde er indes wegen seiner politischen Vorgehensweise.Johannes XXII. hielt an dem Anspruch fest, dass der Papst nicht nur den Kaiser, sondern auch den deutschen König erst approbieren (anerkennen) müsse, bevor dieser sein Amt rechtmäßig ausüben könne. Nach der Doppelwahl von 1314 sandten Ludwig IV., der Bayer, und Friedrich der Schöne ihre Wahlanzeigen an die Kurie, ohne dass nach Beendigung der Sedisvakanz Reaktionen erfolgten. Auch in Oberitalien engagierte sich der Papst mithilfe französischer Truppen, besonders im Konflikt mit den Mailänder Visconti. Rechtsgrundlage seines Vorgehens war der Anspruch auf die Besetzung des Reichsvikariates, da es keinen legitimen Herrscher gebe. Als Ludwig IV. in Oberitalien auf Seiten Mailands militärisch eingriff, ging der Papst in die Offensive und ließ einen Prozess gegen ihn eröffnen. Ludwig verteidigte sich zunächst mit der Nürnberger Appellation und rief ein Konzil an, da er im Papst — sicherlich zu Recht — keine unabhängige Person sah. Trotz des Einspruchs Ludwigs und etlicher formaler Verfahrensfehler der Kurie setzte Johannes XXII. ihn 1324 ab und bannte ihn, allerdings ohne größere Folgen: Schon zu viele Herrscher waren exkommuniziert worden. Sämtliche anderen Rechte sprach ihm Johannes XXII. 1327 nach einer Verurteilung als Ketzer ab. Letztlich war es wohl ein Fehler Ludwigs gewesen, sich auf ein kirchenrechtliches Verfahren überhaupt eingelassen zu haben, zumal der Ablauf der juristischen Auseinandersetzung immer von Avignon bestimmt wurde und Ludwig stets in der formal schwächeren Stellung verblieb, selbst wenn er sich nie unterwarf.1328 ließ sich Ludwig in Rom durch Repräsentanten der Stadt zum Kaiser krönen, erklärte Johannes für abgesetzt und ließ einen sich nur kurz behauptenden Gegenpapst ausrufen. In der politisch-theologischen Auseinandersetzung konnte sich Ludwig IV. u. a. auf Marsilius von Padua, der die weltlichen Herrscher als alleinige rechtmäßige Inhaber der Gewalt sah, Wilhelm von Ockham und Michael von Cesena berufen. Bereits Dante leitete das Kaisertum direkt von Gott ab, betonte das höhere Alter des Kaiserthrones gegenüber dem Stuhl Petri. Konträr dazu hatte Ägidius von Rom eine ausgesprochen papalistische Position vertreten. Im Reich selbst entstand eine wachsende Distanz zur Kurie, die Beziehungen von Reich und Kirche konnten den veränderten Verhältnissen nicht angepasst werden. Mit den Beschlüssen des Kurvereins von Rhense und Ludwigs Reichsgesetz Licet juris von 1338 wurde bekräftigt, dass ein mehrheitlich gewählter König auch ohne päpstliche Approbation rechtmäßiger Herrscher war und die Kaiserkrone an die Königswahl gebunden blieb.Nachfolger Johannes' XXII. wurde der eng mit den Problemen der Kurie vertraute Kardinal und Zisterzienser Jacques Fournier als Benedikt XII. (1334—42). Im Reich verlor auch dieser Papst deutlich an Ansehen und Einfluss, Edikte der Kurie konnten kaum noch verkündet werden, während seine Anlehnung an die französische Politik in England zu ausgeprägter Distanz zu Avignon führte.Trotz der angeblichen Absicht, seinen Sitz wieder in Rom zu nehmen, begann Benedikt kurz nach seiner Amtsübernahme mit dem Bau des Papstpalastes in Avignon, wohin auch das päpstliche Archiv verlegt wurde. Sein Nachfolger Klemens VI. vollendete den neuen Palast, den Schauplatz prunkvollen Hoflebens Mitte des 14. Jahrhunderts. Grundsätzlich behielt Benedikt XII. die Benefizienpolitik seiner Vorgänger bei, verringerte aber etliche Missstände des Pfründenwesens, was zu deutlichen Einnahmeeinbußen führte. Neben diesen Reformansätzen gab er Erlasse (Konstitutionen) für Zisterzienser, Benediktiner, Franziskaner und Regularkanoniker heraus, die zwar innerhalb der Orden nicht nur auf Zustimmung stießen, aber in Teilen bis ins 16. Jahrhundert gültig blieben.Avignonesische BlütezeitUnter dem Pontifikat Klemens' VI. (Pierre Roger, 1342—52) erreichte die Kurie einen Höhepunkt demonstrativer Machtentfaltung, was wiederum höhere Einnahmen erforderlich machte. Neben dem Rückgriff auf vorhandenes Vermögen wurde besonders das Provisions- und Expektanzenwesen ausgedehnt. Die Stadt Avignon wurde 1348 erworben und wuchs unter Klemens VI. zu einem der führenden Wirtschaftsplätze heran, an dem sich italienische Handels- und Bankgesellschaften ansiedelten. Der Papst, die Kardinäle und das gesamte Kurienpersonal bildeten ein kaufkräftiges Nachfragepotenzial.Politisch blieb Klemens VI. der französischen Krone verbunden: Als Erzbischof von Rouen war er Kanzler König Philipps VI. gewesen und als Papst förderte er Verwandte sowie Parteigänger aus dem Limousin, seiner Heimat. Im Konflikt mit Ludwig IV. verurteilte Klemens VI. diesen 1346 endgültig. Ludwigs Nachfolger, Karl IV., war ein Jugendfreund des Papstes, der seine Wahl zum Gegenkönig begünstigte. Rom und der Kirchenstaat wurden 1350 mit der Ausrufung des zweiten Heiligen Jahres — Bonifatius VIII. hatte es 1300 eingeführt — zufrieden gestellt; für die stadtrömische Bevölkerung war ein solches Jubeljahr finanziell attraktiv.Der von seinem Vorgänger protegierte Innozenz VI. (Étienne Aubert, 1352—62) reduzierte zwar wieder den höfischen Aufwand, ließ aber am Papstpalast weiterbauen. Immerhin traf er die Vorbereitungen für die Rückkehr der Päpste nach Rom. Unter dem Kardinallegaten Gil Álvarez Carillo de Albornoz wurde der Kirchenstaat unter Einsatz erheblicher finanzieller Mittel weitgehend befriedet. Das Verhältnis zum Reich gestaltete sich weiterhin konfliktfrei: Innozenz ließ Karl IV. in Rom zum Kaiser krönen und die Goldene Bulle von 1356, mit der päpstliche Ansprüche bei der Königswahl endgültig zurückgewiesen wurden, blieb zumindest offiziell unkritisiert.Vorbereitungen zur Rückkehr nach RomUrban V. (Guillaume Grimoard, 1362—70) konnte auf den Erfolgen seines Vorgängers bei der Reorganisation des Patrimonium Petri (Kirchenstaats) aufbauen. Endgültig reservierte er für die Kurie die Besetzung aller Patriarchal- und Bischofssitze, der Männer- und Frauenklöster ab einer bestimmten Höhe der Einkünfte. Als Hauptfeind in Italien sah auch er die sich in Oberitalien ausbreitenden Visconti, gegen die er sogar zum Kreuzzug aufrief. Nach dem Scheitern derartiger Pläne zeigte sich Urbans politische Lernfähigkeit: Unter Umgehung des stets gegen die Visconti eingestellten Albornoz erfolgte ein Friedensschluss mit Mailand. Trotz zahlreicher Widerstände verließ er 1367 Avignon und erreichte im Oktober Rom. Kaiser Karl IV. sollte als Schutzherr der römischen Kirche die Bemühungen unterstützen, zog aber erst im folgenden Jahr nach Italien. In Rom bereitete Urban V. erneut ein Bündnis gegen Mailand vor, aber auch die anderen italienischen Staaten befürchteten ein Vordringen des Kirchenstaates. Die ausbleibenden militärischen Erfolge gegen die Visconti führten letztlich zu einem für Urban enttäuschenden Friedensschluss. Die italienischen Konflikte trugen ebenso wie der neu ausgebrochene Krieg zwischen Frankreich und England zur Rückkehr Urbans V. nach Avignon 1370 bei, entscheidend war aber wohl das Scheitern seiner politischen Pläne.Trotz der Rückkehr Urbans V. konnte Avignon nicht mehr gegen Rom bestehen. Auch der Ende 1370 zum Papst gewählte und kurienerfahrene Kardinal Petrus Rogerii, ein Neffe Papst Klemens' VI., war zur Verlegung der päpstlichen Residenz entschlossen. Erst nach seiner Wahl wurde er Priester, erhielt die Bischofsweihe und nahm den Namen Gregor XI. an. Nach dem Bündnis zwischen Mailand und Florenz, das zudem die Aufständischen im Kirchenstaat unterstützte, verhängte der Papst das Interdikt über die toskanische Stadt, deren Handel empfindlich getroffen wurde. Gegen entschiedenen Widerstand auch der französischen Krone brach Gregor XI. im September 1376 von Avignon auf und zog im Januar 1377 in Rom ein, wohin zuvor schon Teile der Administration verlegt worden waren. Die Lage in Rom blieb wegen Auseinandersetzungen über das Stadtregiment kritisch und Gregor XI. schloss eine Rückkehr nach Avignon nicht aus, starb aber 1378. Mit Mailand und Florenz konnte sein Nachfolger Urban VI. kurze Zeit später Frieden schließen.Ein wesentliches Anliegen des avignonesischen Papsttums war der Ausbau der Kurie zu einer zentralen Kirchenregierung mit starker Bürokratie und ausgeprägter Finanzverwaltung, eine im Trend der Zeit zur allgemeinen Verwaltungsdifferenzierung und -modifizierung liegende Entwicklung. Umstritten blieben das zum Teil rigide Eintreiben von Finanzmitteln unter Verwendung geistlicher Strafen und die Zwecke der eingetriebenen Gelder, aber auch die Eingriffe in Abts- und Bischofswahlen und die trotz aller Spannungen verschieden stark ausgeprägte Abhängigkeit von der französischen Krone. Mit dem Wegzug aus dem italienischen Kirchenstaat hatte dieser seine Bedeutung als Finanzquelle verloren, während die Ausgaben stiegen und so neue Quellen erschlossen werden mussten.Zu den wichtigsten Einnahmeposten zählten die Abgaben von Äbten und Bischöfen (Servitien) und der halbe oder ganze Jahresertrag eines neu besetzten Benefiziums (Annaten); mit deutlichem Abstand folgten Zehnte, der bewegliche Nachlass von Klerikern (Spolien) und bestimmte Steuern (Subsidien). Auf der Ausgabenseite forderte neben Hofhaltung, Bauaufwendungen und laufenden Gehältern die Beteiligung an den italienischen Kriegen große Summen. Mit dem Transfer der durch Kollektoren eingezogenen Gelder waren zumeist die führenden italienischen »Bankhäuser« betraut. Trotz dieser Strukturveränderungen und breiter politischer Handlungsfelder agierten die avignonesischen Päpste natürlich auch weiterhin auf ihrem ureigenen theologischen Sektor; signifikante Unterschiede zu anderen Perioden dürften hierbei die Ausnahme geblieben sein.Prof. Dr. Ulf Dirlmeier/Dr. Bernd FuhrmannWeiterführende Erläuterungen finden Sie auch unter:Abendländisches Schisma: Päpste in Rom, Avignon und PisaGrundlegende Informationen finden Sie unter:Papsttum: Höhepunkt und Fall der päpstlichen Macht im MittelalterArmutsstreit: Arme oder reiche Kirche?Handbuch der Kirchengeschichte, herausgegeben von Hubert Jedin. Band 2 und 3. Sonderausgabe Freiburg im Breisgau u. a. 1985.Thomas, Heinz: Ludwig der Bayer (1282-1347). Kaiser und Ketzer. Graz u. a. 1993.
Universal-Lexikon. 2012.